Die heilige Katharina von Siena (1347 – 1380) und ihre Zeit

(4.Teil)

Die außergewöhnliche und übernatürliche Lebensweise.
Der Dominikanergeneral Raimund von Capua, der als Augenzeuge nach ihrem Tod den ausführlichsten Bericht über ihr Leben verfasste, beschreibt nach ihrem zurückgezogenen Leben und ihrer Rückkehr in die Welt den Fortgang und die Ereignisse ihres weiteren Lebens sowie ihre Taten weniger in der genauen zeitlichen Abfolge, sondern geht thematisch vor.
Zunächst zeigt er beispielhaft auf, wie außergewöhnlich gottverbunden das Leben Katharinas war und wie sehr sie in der übernatürlichen Welt beheimatet war, bevor er dann, wieder an gewissen Beispielen, zunächst ihr beeindruckendes geistliches Mühen um die Seelen, später auch eine Reihe ihrer leiblichen Liebeswerke und schließlich dann auch ihre Berufung zu einem weit reichenden Einsatz für die Kirche und die Welt in ihrer damaligen Zeit vor Augen stellt.
Ihre außergewöhnliche Lebensweise bewirkte nicht nur Verwunderung oder auch Staunen unter ihren Zeitgenossen, sondern brachte Katharina auch allerlei Schwierigkeiten. Dass Katharina nichts mehr aß, ja auch nicht mehr essen konnte und praktisch nur noch von der heiligen Kommunion und etwas Wasser lebte, führte zu allerlei Vorwürfen und Verdächtigungen. Bisher hatte sie immerhin noch etwas Brot und Kräuter zu sich genommen. Als sie aber nun durch göttliche Gnadengaben so gestärkt wurde, dass sie praktisch keine irdischen Speisen mehr zu sich nahm, ja dass diese ihr sogar Qualen bereiteten, so dass sie nach jedem Versuch, etwas zu essen, regelmäßig wieder erbrechen musste, meinten viele, selbst aus ihrer nächsten Umgebung, dies sei eine Versuchung und Täuschung des Teufels.
Auch ihr Beichtvater Tommaso dalla Fonte befahl ihr deshalb im Namen des Gehorsams, täglich zu essen und nicht ihren Visionen zu vertrauen. Katharina versuchte zu gehorchen, wurde aber durch das Essen so entkräftet, dass man schon um ihr Leben fürchtete. Da sagte Katharina zu ihrem Beichtvater, er würde ihr doch sicher das Fasten verbieten, wenn es ihrer Gesundheit schaden sollte. Warum er sie denn nicht ebenso am Essen hindere, wenn das Essen ihr Schaden zufüge? Sie bekam daraufhin von ihm die Erlaubnis, so zu handeln, wie es der Heilige Geist ihr eingebe.
Selbst und besonders von den Menschen ihrer engsten Umgebung wurde Katharina damals wegen dieser ihrer Lebensweise getadelt und verdächtigt. Das verursachte ihr bittere Qualen, weil sie ja kein Ärgernis geben wollte, sich aber auch nicht mit Worten verteidigen konnte, was man ihr als Eigensinn ausgelegt hätte. Was hätte sie auch sagen oder erklären können? Sie konnte sich nicht einfach auf Gottes Willen berufen, weil man darin eine versteckte Überheblichkeit oder auch mangelnde Bereitschaft zum Gehorsam den menschlichen Autoritäten gegenüber gesehen hätte. Andererseits konnte sie aber auch nicht einfach den oft allzu menschlichen Erwartungen entsprechen, wie sie zu leben und sich zu verhalten hätte, weil ihr das selbst beim besten Willen unmöglich war und sie teils auch in Widerspruch zum Gehorsam Gott und Seinen Geboten gegenüber gebracht oder von ihrer Hingabe an Christus weggeführt hätte.
Der „Belehrungen“ gab es viele. Die einen sagten, wenn selbst Christus, Seine heilige Mutter und die heiligen Apostel gegessen haben, dann könne niemand größer als Christus sein wollen und nicht essen. Andere meinten, ein so außergewöhnliches Verhalten sei nicht zu dulden, weil die Heiligen immer durch Wort und Beispiel gelehrt hätten, alles Auffällige oder Maßlose zu vermeiden. Wieder andere interpretierten die außergewöhnliche Gabe als Trugwerk des bösen Feindes. Und es gab auch welche, die behaupteten, das sichtbare Fasten diene nur der Ruhmsucht, heimlich aber würde es sich die Heilige doch gut gehen lassen und essen.
Christus hatte die Heilige bereits auf die neuen Gaben vorbereitet und ihr auch mitgeteilt, dass diese bei unwissenden und irdisch gesinnten Menschen Staunen und Unglauben hervorrufen würden. Mehrfach ermahnte Er sie, sie solle sich dadurch nicht in Verwirrung bringen oder in Furcht versetzen lassen, denn Er selbst werde immer bei ihr sein und sie vor listigen Zungen oder Lügen beschützen.
Mit Recht sagt Raimund von Capua (seit 1374 ihr Beichtvater, der sie 1376 auch auf ihrer Mission zu Papst Gregor XI. nach Avignon sowie später auf ihrer Reise zu Papst Urban VI. nach Rom begleitete), der im Jahr ihres Todes 1380 Generalmeister des in der damaligen Kirchenspaltung romtreuen Teils des Dominikanerordens wurde, also sicher ein Mann mit gutem und nüchternem Urteilsvemögen: „Hätten sie“ (Katharinas Kritiker) „… bedacht und beachtet, wie häufig und umfassend diese heilige Jungfrau vom Herrn über alle Täuschungen des Feindes unterwiesen worden war, wie viele Kämpfe sie mit dem Widersacher austragen musste, wie vollständig und wie oft sie über den Gegenspieler des Menschengeschlechtes triumphiert hatte; wenn sie ferner die Gabe der Einsicht beachtet hätten, die ihr der Herr geschenkt hatte und mit der sie mit den Aposteln rufen konnte: ‚Wir kennen ja seine Absichten nur zu gut’“ (2Kor.2,11) „- dann hätten sie den Finger auf den Mund gelegt und sich nicht herausgenommen, sich als unvollkommene Jünger über die vollkommene Meisterin zu erheben. Sie hätten es nicht gewagt, als armselige Rinnsale einen so gewaltigen Strom mit ihrer Dürftigkeit anfüllen zu wollen“ (Raimund von Capua, a.a.O., S. 227).
Er verweist auf Johannes den Täufer, von dem Jesus gesagt hat: „Johannes trat auf, er aß nicht und trank nicht… Der Menschensohn trat auf: Er isst und trinkt…“ (Mt.11,18-19) und viele heilige Wüstenväter, sowie auf Maria Magdalena, die auf einem Felsen 33 Jahre ohne irdische Speise gelebt hatte, und stellt dann die Frage gegen den Einwand der Kritiker, die meinten, niemand könne mehr fasten (wollen) als Jesus, Maria oder die Apostel: War Maria Magdalena „also größer als die glorreiche Jungfrau“ (die Gottesmutter Maria)? „Wenn sie es nicht gelernt haben, dann mögen sie jetzt erfahren, dass der hohe oder niedrige Grad der Heiligkeit nicht nach dem Fasten gemessen und beurteilt wird, sondern nach dem Maß der Liebe“ (Raimund von Capua, a.a.O., S. 232).
Zur zweiten Gruppe, „die alles Außergewöhnliche ablehnt“, sagt er: „Die Heilige Schrift lehrt zwar, der Gerechte dürfe nicht nach dem streben, was für ihn zu hoch ist, aber sie fügt gleich anschließend hinzu: ‚Vieles ist dir kundgetan worden, was die Einsicht übersteigt’“(a.a.O., S. 232f., vgl. Sir.3,21-25). Katharina selbst habe erklärt: „’Gott hat mich für meine Sünden … mit einer außergewöhnlichen Schwäche geschlagen, wodurch mir der Genuss einer Speise völlig verwehrt ist; ich möchte sehr gerne essen, aber ich kann nicht’… Durch diese Antwort wird auch die dritte Gruppe widerlegt, die erklärt, dass alles Maßlose zu vermeiden sei. Das Maßlose, das von Gott kommt und das der Mensch nicht verhindern kann, kann nicht fehlerhaft sein“ (ebd., S. 233).
Raimund fährt fort mit der Überlegung: „Die vierte Gruppe der Kritiker, die das Fasten eine Täuschung des Teufels nannten, mögen mir bitte antworten: Wenn Caterina über alle oben beschriebenen Täuschungen des Feindes bisher vollständig triumphiert hat, wie wahrscheinlich ist es, dass sie gerade in dieser Sache getäuscht worden ist? Doch angenommen, sie konnte getäuscht werden: wer hat jenen Leib in seiner Kraft bewahrt? Wenn sie dieses alles dem Feind zuschreiben wollen, dann mögen sie erklären, wer ihr Herz in so großer Freude und in solchem Frieden bewahrte, da sie doch jedes sinnlichen Genusses beraubt war. Das kann nur die Frucht des Heiligen Geistes, nicht des Teufels sein. Es heißt ja in der Schrift: ‚Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede’“ (Raimund von Capua, a.a.O., S. 233f.). Raimund meint deshalb, die Kritiker Katharinas sollten sich ob der bei ihr sichtbaren Früchte des Heiligen Geistes auch selbst einmal fragen, ob nicht sie selbst vom Feind der Wahrheit getäuscht werden.
Katharina selbst sagte über die Kritik, die ihr begegnete: „Das Murren jener Leute ist für mich jetzt von Nutzen, denn damit zahle ich meinem Schöpfer eine endliche Buße, obwohl ich eine unendliche verdient hätte… Es ist für mich eine große Gnade, wenn mir in diesem Leben Gerechtigkeit widerfährt... Wenn jemand die Gnade, die er von Gott erhält, zu nutzen wüsste, so könnte ihm alles, was ihm widerfährt, zum unverlierbaren Gewinn werden“ (Raimund von Capua, a.a.O., S. 236f.).
Praktisch lebte Katharina von etwas Wasser und der heiligen Kommunion. Um sinnlose Kritik zu vermeiden, nahm sie jedoch bis an ihr Lebensende immer wieder ein klein wenig bei den Mahlzeiten zu sich. Sie aß dabei zwar keine feste Nahrung, doch auch das Flüssige führte bei ihr immer zu großen Schmerzen und Anschwellungen am ganzen Körper, so dass sie das Gegessene bald wieder erbrechen musste. Raimund von Capua riet ihr deshalb, sich nicht um das Gerede der Menschen zu kümmern und diese Qualen zu vermeiden. Sie jedoch erwiderte, da sie ja eigentlich unendliche Buße verdient habe, wolle sie wenigstens diese endliche Buße im Sinne von Gottes Gerechtigkeit auf sich nehmen. Als sie ihr Beichtvater Fra Tommaso einmal fragte, ob sie irgendwann auch Verlangen nach Essen hätte, antwortete sie: „Die Sättigung, die mir der Herr durch den Empfang Seines ehrwürdigsten Sakramentes verschafft, ist so groß, dass ich auf keine Weise eine irdische Speise begehren könnte“ (Raimund von Capua, a.a.O., S. 229). Und wenn sie oft auch kränklich und schwach, ja bisweilen dem Tod nahe schien, so zeigte sich bei ihr innerhalb kürzester Zeit eine Fülle an Kraft, die das gewöhnliche Maß überstieg und sie ohne Arznei anstrengendere Arbeiten als viele Gesunde verrichten ließ, sobald es um die Ehre Gottes oder das Heil der Seelen ging.
Der neue, praktisch nahrungslose Lebensabschnitt war gekennzeichnet durch eine immer engere Verbindung mit Christus, der sich ihr nun nicht mehr nur im Verborgenen zeigte, sondern sie auch immer wieder vor den Augen ihrer Mitmenschen in Ekstasen fallen ließ, sobald sie innerlich sich in Gott versenkte. Ihr ganzes Leben war ein einzigartiger Zustand der Betrachtung. So oft sie konnte, empfing sie die heilige Kommunion, von der sie nicht nur geistliche, sondern auch natürliche Kraft erhielt.
In dieser Zeit bat Katharina Gott auch einmal darum, ihr Herz und ihren Eigenwillen zu nehmen. Da ereignete sich die bekannte Vision, dass ihr Bräutigam auf sie zutrat und ihr Herz aus ihrer linken Seite nahm. Als Katharina ihrem Beichtvater ihr körperliches Empfinden mitteilte und sagte, „sie habe kein Herz im Leib“, da „musste er lachen und zugleich tadelte er sie auch ein wenig. Caterina aber … versicherte: ‚ … soviel ich spüren kann, glaube ich fest, kein Herz mehr zu haben; der Herr ist mir nämlich erschienen, hat meine linke Seite geöffnet und mir das Herz herausgenommen’“ (Raimund von Capua, a.a.O., S. 239).
Erst einige Tage später erschien ihr der Herr, als sie nach dem Gottesdienst noch allein in der Predigerkirche zurückgeblieben war, „öffnete zum zweiten Mal ihre linke Seite und legte das Herz, das Er in Seinen Händen trug, hinein. Er sprach: ‚Meine vielgeliebte Tochter, wie Ich dir neulich dein Herz genommen habe, so übergebe Ich dir jetzt Mein Herz, mit dem du fortan leben sollst’… Als Zeichen des Wunders blieb an jener Stelle ein vernarbtes Mal zurück. Ihre Mitschwestern versicherten mir und vielen anderen wiederholt, diese Narbe gesehen zu haben, und als ich sie selbst eindringlich darüber befragte, konnte sie den Tausch nicht leugnen und erklärte …, dass sie seit dieser Stunde niemals mehr wie bisher sagen konnte: ‚Herr, ich empfehle Dir mein Herz an’“ (Raimund von Capua, a.a.O., S. 240). Auf eine ganz besondere Weise hat Gott so bei ihr das Geheimnis des christlichen Glaubens und Lebens verwirklicht, das ja grundsätzlich für jeden Getauften gilt: „Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir“ (Gal. 2,20).
Da Katharina über jede kleine Unachtsamkeit beinahe unendliche Reue empfand, sprach Christus eines Tages zu ihr: „Siehe, … ich gebe dir zu deinem größeren Trost Maria Magdalena zur Mutter. Bei ihr kannst du voll Vertrauen Zuflucht suchen“ (Raimund von Capua, a.a.O., S. 243). Maria Magdalena hat nach der Überlieferung 33 Jahre ohne irdische Speise auf einem Felsen in Südfrankreich gelebt und wurde siebenmal am Tag von den Engeln in die Lüfte entführt. Sie zeigt so einige Ähnlichkeiten mit Katharina, die ebenfalls der Nahrung praktisch völlig entsagte und sehr oft ihrer Sinne beraubt mit den Chören der Engel den Herrn lobte, wobei sie vor den Augen der Menschen oft vom Boden erhoben wurde und höchst erhabene Worte sprach, wie die Augenzeugen berichten und die teils auch aufgeschrieben worden sind.
Katharina bekannte ihrem ersten Beichtvater Fra Tommaso dalla Fonte, dass nach diesen erwähnten Geschehnissen ihr Herz am Fest der Jungfrau und Märtyrin Margaretha, am 20. Juli 1370, in die Seite des Erlösers eingetreten sei und ihre Seele in der Glut der göttlichen Liebe völlig hinschmolz. So wurde ihre Liebe derjenigen der heiligen Magdalena ähnlich, und sie konnte das nach außen oft kaum verheimlichen. Sie wurde sogar ermahnt, nicht durch ihr Weinen die zelebrierenden Priester zu stören, so dass sie sich gehorsam bei der heiligen Messe weit weg vom Altar stellte, weil sie die Regungen des Geistes Gottes nicht unterdrücken konnte.
Einmal wurde sie nach Empfang der heiligen Kommunion so von Gott erfasst, dass es ihr schien, dass ihre Seele in Gott und Gott in ihre Seele trat und sie nur mit Mühe in ihre Zelle zurückkehren konnte. Dort legte sie sich auf ihre Holzpritsche, wo sie nach geraumer Zeit allerdings drei Frauen ohne sichtbare Stütze in der Luft schwebend sahen, bis sie wieder auf ihr Lager herabsank und so ergreifende Worte des Lebens sprach, dass alle Mitschwestern zu Tränen gerührt wurden. Sie betete für viele, auch für ihren Beichtvater, der in dieser Stunde zwar in der Brüderkirche weilte, aber gar nicht recht für fromme Gedanken empfänglich war. Plötzlich verspürte aber auch er zur selben Zeit eine wunderbare, bisher nie gekannte Frömmigkeit. Katharina hatte da um das ewige Heil für ihn und für viele andere gebetet, sowie auch um ein Zeichen. Da hatte Jesus sie aufgefordert, ihre Hand zu Ihm auszustrecken, woraufhin Er mit einem Nagel auf ihre rechte Handfläche drückte, so dass sie meinte, sie sei durchbohrt, und dort forthin einen starken Schmerz verspürte (vgl. Raimund von Capua, a.a.O., S. 251).
Dies war übrigens schon lange bevor sie dann später in Pisa die Wundmale Christi empfing, wo sie im Frühjahr 1375 auf Einladung vieler Geistlicher und Laien weilte. Wie so oft geriet sie auch dort am Palmsonntag, den 1. April 1375, nach der heiligen Kommunion in Ekstase, war bis zum Boden niedergesunken, hatte sich aber dann nach längerer Zeit zu kniender Haltung erhoben, wobei sie ihre Arme und Hände ausstreckte und ihr Angesicht wie von Feuer gerötet erschien. Als dann ihre leiblichen Sinne wieder zurückgekehrt waren, sagte sie zu Raimund von Capua: „Mein Vater, ihr sollt wissen, dass ich durch die Barmherzigkeit des Herrn Jesus jetzt seine Wundmale an meinem Leib trage… Ich habe gesehen, wie der ans Kreuz geschlagene Herr mit strahlendem Licht auf mich herabkam. Durch den unwiderstehlichen Drang meines Herzens wollte daher mein Körper seinem Schöpfer entgegeneilen und war genötigt, sich aufzurichten. Da sah ich, wie aus den fünf Malen Seiner heiligsten Wunden blutrote Strahlen auf mich herabkamen; sie waren auf meine Hände, Füße und das Herz meines Leibes gerichtet. Ich begriff das Mysterium und rief sogleich: ‚Herr, mein Gott, ich bitte Dich, lass die Male in meinem Leib nicht äußerlich sichtbar werden!’ Während ich noch redete und ehe jene Strahlen mich erreicht hatten, wandelten sie ihre blutrote Farbe in glänzendes Weiß und trafen in Form reinen Lichtes fünf Stellen meines Leibes, nämlich die Hände, die Füße und das Herz“ (Raimund von Capua, a.a.O., S. 252f.). Als Raimund sie fragte, ob sie an jenen Stellen denn auch Schmerz spüre, antwortete sie, dass die Schmerzen so stark seien, dass sie sie wohl kaum ein paar Tage überleben werde, wenn der Herr nicht ein neues Wunder wirken werde. Nachdem sie in die Unterkunft (neben der dortigen Kirche Santa Cristina) zurückgekehrt waren, wo sie zu Gast war, fiel Katharina in Ohnmacht, kam dann aber wieder zu sich und meinte, wenn der Herr sie nicht stärken wolle, würde sie wohl bald aus dem Leben scheiden.
Ihre Töchter und Söhne beteten und baten auch Katharina, zu beten, dass diese sie nicht als Waisen jetzt schon zurücklassen müsse. Am nächsten Sonntag (Ostern) fiel Katharina nach der heiligen Kommunion wieder in Verzückung, aber diesmal erschien ihr Leib dadurch nicht geschwächt, sondern sichtlich gestärkt. Sie selbst sagte schließlich: „Der Herr hat eure Gebete erhört… Die Wunden schwächen meinen Körper nicht, sie stärken ihn vielmehr und geben ihm Kraft. Und was mich vorher geschwächt hat, das richtet mich jetzt spürbar auf“ (Raimund von Capua, a.a.O., S. 256).
Katharina erschien übrigens nicht nur Jesus, der sie immer wieder stärkte und ihr auch das Mysterium der Dreifaltigkeit enthüllte, sondern sie hatte auch vertrauten Umgang mit Maria oder mit Maria Magdalena, welche sogar gemeinsam mit ihr wandelten und ihr mancherlei Trost spendeten. Besonders beglückt war sie auch vom heiligen Paulus, auf den sie sich in ihren Briefen immer wieder beruft und für den sie in Brief 101 an Kardinal Jacopo Orsini sogar einmal den Kosenamen „Paoluccio“ („Paulchen“ oder „Pauli“) verwendet. Sie hatte aber auch Erscheinungen des heiligen Evangelisten Johannes oder des heiligen Dominikus, häufig auch des heiligen Thomas von Aquin, der ja auch Dominikaner gewesen war, sowie der heiligen Agnes von Montepulciano (1264 – 1317), Gründerin des dortigen Dominikanerinnenklosters, zu deren Grab sie auch mehrmals eine Wallfahrt unternahm und deren Lebensgeschichte ebenfalls Raimund von Capua aufgezeichnet hatte, der dort von 1363 – 1366 Rektor war.
Am Fest der Bekehrung des heiligen Apostels Paulus wurde sie einmal wie er in eine Verzückung entrückt, in der sie drei Tage und drei Nächte unbewegt verharrte. Als sie danach, noch in einer Art Dämmerzustand, von zwei Ordensbrüdern gefragt wurde, ob sie mit ihnen zu einem auch von ihr sehr geschätzten Einsiedler gehen wolle, antwortete sie: „Ja, ich will“. Doch kurz danach meinte sie, damit eine Unwahrheit ausgesprochen zu haben und beweinte drei Tage und drei Nächte diese „Sünde“. Raimund von Capua (vgl. ebd., S. 260) vergleicht diese Gewissensbisse mit dem „Stachel“, den Gott auch dem heiligen Paulus gelassen habe, damit die Gnade den Menschen nicht überheblich mache, sondern ihre Kraft in der Schwachheit vollendet würde (vgl. 2Kor. 12,9).
Ein anderes Mal sprach sie mit einem Beichtvater über eine Erscheinung des heiligen Dominikus, den sie ihm als ihr jetzt „gegenwärtiger, als Ihr es seid“ (Raimund von Capua, a.a.O., S. 261), beschrieb. Da wandte sie kurz ihren Blick auf einen gerade vorbeigehenden leiblichen Bruder, so flüchtig, dass sie ihn kaum erkannte. Dennoch brach sie gleich darauf bestürzt in einen Strom von Tränen aus, dass sie nicht mehr weiter sprechen konnte. Auf Nachfrage stammelte sie schluchzend: „Habt ihr nicht gesehen, wie diese nichtsnutzige Frau ihr Haupt und ihre Augen abgewandt und auf Vorübergehende geblickt hat, während ihr gerade Gott Seine Großtaten offenbarte?“ (Raimund von Capua, a.a.O., S. 262).
Einmal bat Katharina ihren Herrn und Erlöser, er möge sie doch aus dem Gefängnis des Leibes befreien, damit sie Ihn vollkommen lieben könne. Jesus sprach zu ihr, sie solle noch ausharren, wie auch Er den Willen des Vaters durch Sein Ausharren hier auf Erden erfüllt habe. Da antwortete sie, dass sie, wenn sie noch nicht mit Ihm im Himmel vereint sein könne, dann wenigstens hier auf Erden Seine Leiden mit ihm teilen wolle (vgl. Raimund von Capua, a.a.O., S. 266).
Das führte sie zu einem immer tieferen Mitleben und Mitleiden, ja einmal sogar zu einem "Sterben" mit Christus. Sie „erklärte, dass kein Mensch die Leiden, die der Gottes- und Menschensohn für unser Heil ertragen hat, aushalten könnte, ohne dabei einen vielfachen Tod zu sterben… Nicht die Nägel hielten Ihn am Kreuz fest, sondern die Liebe. Nicht die Macht der Menschen hat Ihn überwunden, sondern die eigene Liebe… Sie sagte auch, dass sie am eigenen Leib etwas von den Leiden des Herrn erfahren habe, wenn auch nur einen Teil, denn das Leiden ganz zu erfahren hielt sie für unmöglich. Und sie fügte hinzu, dass die größte Qual, die der Erlöser am Kreuz gelitten hat, der Schmerz in der Brust war, weil die Knochen der Brust auseinandergerissen wurden. Als Beweis oder Zeichen dafür erklärte sie, dass in ihrem eigenen Körper die anderen Schmerzen vergangen seien und nur jener Schmerz in der Brust geblieben sei. Auch wenn sie täglich Unterleibsschmerzen und unaufhörlich Kopfschmerzen litt, sei doch, wie sie sagte, dieser Schmerz heftiger… Nachdem dieser Schmerz, der mehrere Tage andauerte, in ihrem Körper eingesetzt hatte, verringerten sich zusehends ihre Körperkräfte, die Liebe ihres Herzens aber entflammte immer stärker, denn sie hatte nun am eigenen Leib gespürt und erfahren, wie sehr der Erlöser sie und das Menschengeschlecht geliebt hatte… In ihrem Herzen wallten Liebe und Hingabe mit solcher Heftigkeit auf, dass das Herz nicht länger unverletzt bleiben konnte… Die Kraft jener Liebe war so groß, dass das Herz der Jungfrau von oben bis unten entzwei brach… So zerprangen ihre Lebensadern, und sie hauchte durch die übermächtige Liebe zu Gott ihr Leben aus. Du wunderst dich, lieber Leser? Du sollst wissen, dass es dafür viele Zeugen gab und gibt… die anwesend waren, als sie ihr Leben aushauchte… ihre Namen werden unten genannt werden. Ich selbst war zunächst in Zweifel. Ich ging zu ihr, und… bat sie inständig, mir darüber die volle Wahrheit zu sagen. Sie brach in lautes Schluchzen aus und zögerte lange, mir eine Antwort zu geben. Nach einer Weile endlich sagte sie: ‚Vater, habt ihr kein Mitleid mit einer Seele, die aus dem finsteren Kerker befreit war, das strahlende Licht gesehen hat und dann wieder in die gewohnte Finsternis eingeschlossen wurde? … Ich habe die Geheimnisse Gottes gesehen, die keinem irdischen Pilger kundgetan werden können…; was immer ich sagen würde, es wäre alles Lehm statt Gold… Nachdem mich der Herr in jenen Tagen mit zahlreichen geistigen und leiblichen Visionen getröstet hatte, fiel ich, bezwungen von reiner Liebe zu Ihm, ermattet auf mein Lager; hier flehte ich Ihn unaufhörlich an, Er möge mich von diesem sterblichen Leib befreien, damit ich mich vollständig mit Ihm vereinen könne. Wenn mir auch diese Bitte jetzt nicht erfüllt wurde, so erwirkte ich schließlich doch, dass er mir, soweit es für mich möglich ist, Anteil an Seinem Leiden gab…; das Herz brach… und trennte sich von diesem Leib, aber leider nur für allzu kurze Zeit… Die Frauen, die bei meinem Tod anwesend waren, sagen, dass vier Stunden vergingen… und es sei eine große Zahl von Nachbarinnen herbeigeströmt… Meine Seele aber dachte nicht an eine Zeit, denn sie glaubte, in die Ewigkeit eingegangen zu sein… Ihr sollt wissen, mein Vater, dass meine Seele alles gesehen und erkannt hat, was es in der anderen, uns unsichtbaren Welt gibt, etwa die Herrlichkeit der Heiligen und die Strafen der Sünder… Nehmt es… als sicher an, dass meine Seele das Wesen der Gottheit gesehen hat. Das ist auch der Grund, warum mir der Aufenthalt in diesem Kerker des Leibes so schwer fällt, und ich würde vor Trauer vergehen, wenn mich nicht die Liebe zu Ihm und zum Nächsten festhielte… Deshalb sind mir die Drangsale nicht nur nicht drückend, sondern meinem Herzen sogar erfreulich… Ich habe auch die Strafen der Verdammten gesehen und die Leiden derer, die im Fegfeuer sind’“ (Raimund von Capua, a.a.O., S. 269 - 274).
Katharina berichtet weiter, dass ihr ewiger Bräutigam dann zu ihr gesagt habe: „’Kehre also zurück und halte ihnen ihren Irrtum und auch die Gefahr und ihre Strafe vor Augen… Das Heil vieler Seelen verlangt deine Rückkehr. Du wirst aber nicht mehr ein Leben führen wie bisher, noch wird dir künftig deine kleine Zelle als Wohnort dienen, vielmehr wirst du zum Heil der Seelen sogar deine Heimatstadt verlassen müssen. Ich aber werde immer mit dir sein, Ich werde dich führen und zurückführen. Du wirst die Ehre Meines Namens und die heilbringende Lehren vor die Kleinen und Großen bringen, vor Laien, Kleriker und Ordensleute, denn ich werde dir eine Stimme und eine Weisheit geben, der niemand widerstehen kann. Ich werde dich auch zu den Päpsten führen, zu den Lenkern der Kirche und des christlichen Volkes, denn Ich will auf Meine gewohnte Art und Weise durch das Schwache den Stolz der Starken zuschanden machen.’ Als Er so… zu mir sprach, fand sich meine Seele auf eine mir unfassbare Weise plötzlich wieder in den Leib zurückversetzt…, dass ich drei Tage und drei Nächte unausgesetzt… weinen musste. Auch jetzt ist mir unmöglich, dieses Weinen zu unterdrücken, sobald ich mich daran erinnere… Keiner soll sich also wundern, wenn ich jene Männer und Frauen besonders liebe; sie zu ermahnen und vom Schlechten zum Guten zu bekehren hat mir der Allerhöchste anvertraut“ (Raimund von Capua, a.a.O., S. 275f.).
Dieser vierstündige mystische Tod Katharinas ereignete sich 1370, die erwähnte mystische Hochzeit mit ihrem himmlischen Bräutigam 1368 und der berichtete Empfang der unsichtbaren Wundmale schließlich am 1. April 1375. In der erwähnten (mystischen) „Todesstunde“ wurde auch ihr Beichtvater gerufen, der ihr bei ihrem „Hinscheiden“ zur Seite stand. Caffarini schreibt in seiner „Legenda Minor“ (II,6), dass er und noch drei andere Brüder aus dem Predigerorden herbeigeeilt seien und schließlich „Caterinas Beerdigung anordneten“ (vgl. Raimund von Capua, a.a.O., S. 277, Anm. 32). Zugleich sei ein Laienbruder, der vor lauter Weinen und Klagen an ihrem „Sterbebett“ Blut hustete und daran zu ersticken drohte, plötzlich von diesem Leiden befreit worden, als man ihm die Hand der „Sterbenden“ auf seine Brust legte.
„Fast alle Frauen der Nachbarschaft haben die Jungfrau auf dem Sterbebett gesehen, besonders eine Schar von Bekannten beiderlei Geschlechtes, die bei solchen Anlässen zusammenzuströmen pflegen, und keiner von ihnen konnte einen Zweifel haben, dass sie unabänderlich aus diesem Leben geschieden sei“, schreibt Raimund von Capua am Ende seines Berichtes über diesen ihren „mystischen Tod“ (a.a.O., S. 278).

(Fortsetzung folgt)

Thomas Ehrenberger

 

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